Die Landesschüler*innenvertretung NRW (LSV NRW) begrüßt zwar die bereitgestellten Finanzierungsangebote durch das “Aktionsprogramm Aufholen”, bemängelt aber, dass diese nicht das grundsätzliche strukturelle Problem und die enorme Unterfinanzierung der Bildung lösen.
Um wenigstens die bereitgestellten Finanzmittel sinnvoll zu nutzen, fordert die LSV NRW, vor allem die Aufarbeitung der Pandemie mit Blick auf die seelische Gesundheit und die häusliche Isolation in den Förderprogrammen zu thematisieren. Lerninhalte sind dabei zunächst als zweitrangig zu betrachten.
Damit verbunden muss sich die Politik von ihrer Vorstellung verabschieden, die Inhalte in vollem Umfang nachholen zu können, da dies maßgeblich auf Kosten der seelischen Gesundheit von Schüler*innen geschieht. Zudem darf kein indirekter Zwang für die Teilnahme entstehen, indem die weitere schulische Laufbahn von diesen Angeboten abhängig ist.
Wichtig ist vor allem, dass sich die Schulpolitik nicht darauf beschränken darf, vergleichsweise geringe Geldbeträge in das Schulsystem zu investieren, während allein die Lufthansa mit 9 Milliarden Euro unterstützt wurde und Konzerne durch Kurzarbeiter*innengeld, also Steuergelder, Dividenden in Milliardenhöhe auszahlen können, die dann an die reichsten 1 % verloren gehen. “Sich jetzt also kurz vor der Wahl als Held*innen zu inszenieren, weil man einen vergleichsweise lächerlichen Geldbetrag zur Verfügung stellt, ist sehr verwerflich. Angesichts des Investitionsstaus im Bildungsbereich von 48 Milliarden Euro allein bei den Gebäuden (so eine Studie der Förderbank KfW), sind zwei Milliarden aber nur Geringfügigkeiten”, kritisiert Johanna Börgermann aus dem Landesvorstand. So kann das Aktionsprogramm bestenfalls ein paar Symptome des mangelhaften Schulsystems lindern, anstatt das System grundlegend zu verändern.
“Die Coronapandemie hat Defizite aufgedeckt, die die Landesregierung nicht unter den Tisch kehren kann, und was jetzt gefragt ist, sind nicht halbherzige Ferienprogramme, sondern eine Umstrukturierung des Systems im Rahmen eines milliardenschweren Investitionsprogramms, um den Bedürfnissen von Schüler*innen und den erklärten Zielen von Schule endlich gerecht zu werden.”, erklärt Julius van der Burg, ebenfalls aus dem Landesvorstand.
Dennoch ist es sinnvoll, die jetzt bereitgestellten Finanzen auch zu nutzen. Die daraus resultierenden Angebote müssen dabei, anders als letztes Jahr, für jede*n barrierefrei zugänglich sein und durch Schulsozialarbeiter*innen, Sonderpädagog*innen und Schulpsycholog*innen unterstützt werden. Ansonsten werden Ungleichheiten zum Nachteil von Behinderten, Schüler*innen aus Förderschulen und aus ärmeren Elternhäusern, die durch die Pandemie gewachsen sind, auch in diesem Nachholprogramm verstärkt. Stattdessen sollten die Fördermittel so genutzt werden, dass sie genau dieser Benachteiligung entgegenwirken.
Die Priorisierung dieser Programme darf dabei nicht in der Aufarbeitung von Lernlücken liegen. Schüler*innen leiden massiv unter der Isolation und dem enormen Leistungsdruck, der trotz Pandemie von der Landesregierung aufrecht gehalten wird.
Gleichzeitig nimmt häusliche Gewalt – sei sie physisch oder psychisch – zu.
Diese Situation gilt es mit höchster Priorität aufzuarbeiten. Schüler*innen müssen die Möglichkeit bekommen, ihre Erlebnisse und Sorgen der Zeit in der Isolation anzusprechen und zu verarbeiten. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann im Anschluss über die verpassten Inhalte bzw. Lernlücken gesprochen werden, vorher führt der exzessive Fokus der Landesregierung auf Inhalte nur zu weiterer Unsicherheit und psychischer Belastung. Aus diesem Grund müssen sich Förderprogramme in den Ferien auch zuerst der seelischen Gesundheit widmen!
Zudem muss der Umgang mit dem “Abbau von Lernrückständen” generell sehr kritisch betrachtet werden, da es unter allen Umständen zu verhindern gilt, dass Schüler*innen mit Nachteilen zu rechnen haben, wenn sie diese Angebote nicht wahrnehmen.
“Das Konzept sieht vor, dass Schüler*innen, die ohnehin seit Beginn der Pandemie unter enormen psychischen Belastungen die Versäumnisse der Bildungspolitik ausgleichen müssen, Lernlücken in ihrer stark strapazierten Freizeit füllen sollen.”, kritisiert Samuel Bielak aus dem Vorstand der LSV NRW. “Wir fordern, dass die relevanten Lernlücken aller Schüler*innen im Schulunterricht gefüllt werden, sodass kein weiterer Leistungsdruck entsteht. Es ist keine direkte Verpflichtung zur Teilnahme an den geplanten Angeboten vorgesehen, dementsprechend darf die schulische Laufbahn auch nicht abhängig von der Teilnahme an diesen Veranstaltungen sein.”, so Bielak weiter.
Um diese Lernlücken in der begrenzten Schulzeit füllen zu können, braucht es dabei eine Reduzierung der Inhalte. “Wir müssen uns von dem menschenfeindlichen, ideologisch motivierten Irrsinn mit dem Aufholen verabschieden. Die Pandemie existiert nun mal und anstatt zu versuchen, Schüler*innen noch mehr zu belasten und ihnen die gleichen Inhalte in einer noch kürzeren Zeit zu vermitteln, sollten wir anfangen zu überlegen, welche Inhalte relevant sind und welche aus den Prüfungen verschwinden müssen.”, fordert Julius van der Burg, ebenfalls aus dem Vorstand der LSV NRW. “Das Bildungssystem muss sich an die Schüler*innen anpassen – nicht die Schüler*innen an das Bildungssystem!”, fasst van der Burg die Forderungen der LSV NRW zusammen.